Im Märchenwald der Holzlobby

Seit Jahren gaukeln Vertreter der Forst- und Holzlobby sowie einige der Lobby nahestehende Forstwissenschaftler der Öffentlichkeit ein Waldbild vor, das es in der Realität schon längst nicht mehr gibt. Nach der Veröffentlichung der letzten Bundeswaldinventur (2014) wurde der tatsächliche ökologischen Zustand der deutschen Wälder in einer beispiellosen, interessen-gesteuerten Verschleierungskampagne regelrecht schöngeredet. Der Wald sei „vielfältiger“ und „naturnäher“ geworden. Wie „naturnah“ er war, haben wir in den letzten beiden Dürre-Perioden erleben können, als rund 200.000 Hektar vornehmlich Fichtenplantagen (- die es ja angeblich in Deutschland nicht geben soll!) mit Nachhilfe des Borkenkäfers auf einem Schlag abgestorben sind. Die selben Lobby-Vertreter, die jahrelang ein Trugbild des deutschen Waldes transportieren, werfen jetzt dem „Volksförster“ Peter Wohlleben vor, er würde nur „Märchen“ verbreiten.

Verkehrte Welt!

Die von Forstlobbyisten massiv propagierte These, dass eine so genannte „multifunktionale“ Forstwirtschaft gleichzeitig nahezu alle Schutz- und Wohlfahrtsfunktionen des Waldes bewahrt, erweist sich angesichts nicht mehr weg zu diskutierender, forstlicher Ein- und Missgriffe zunehmend als eine Märchenvorstellung, die allein dazu dient, einem relativ ahnungslosem Publikum, also der in der Regel unzureichend informierten Öffentlichkeit eine „heile“ Wald-Welt vorzuspielen. In der Öffentlichkeit reagieren hochrangige Forstfunktionäre auf derartige Einwände mit der stets gleichen Standard-Phrase, dass „Naturschutz und Biodiversität bei der multifunktionalen Waldwirtschaft ja immer berücksichtigt“ würden. Und „Schutz durch Nutzung“ sei schließlich der Grundtenor aller internationalen Abkommen und Naturschutzrichtlinien. Glaubt man den Hochglanz-Broschüren und Presse-Verlautbarungen, die die deutschen Forstlobby-Verbände alljährlich verbreiten, ist im Wald also alles noch in bester Ordnung.

Forstvertreter rühmen den „Reichtum der Holzvorräte“ in unseren Wäldern. Deutschland sei „Waldland Nr. 1“ in Europa.

Wie die Öffentlichkeit teilweise regelrecht belogen wird, offenbaren allein die Werbebroschüren, die jährlich für teures Geld im Hochglanzformat herausgegeben werden, -wie zum Beispiel ein vor einigen Jahren vom damaligen „Holzabsatzfond“ gedrucktes Schriftwerk mit dem Titel „Waldbild – Einblicke in die nachhaltige Forstwirtschaft“. Darin werden ständig stereotyp wiederholte Thesen und Behauptungen zur deutschen Forstwirtschaft verbreitet, die vielfach schlicht falsch sind.

Behauptung 1:
„Holznutzung ist Waldpflege: Ohne sie würde die Artenvielfalt unserer Wälder abnehmen.“ Und: „Ohne Waldbewirtschaftung würde die Artenvielfalt im Wald abnehmen, da sich automatisch die stärkste Baumart durchsetzen würde.“ Fakt ist, dass in Urwäldern wesentlich mehr Tierarten leben als in Wirtschaftswäldern. Dies bestätigt mittlerweile eine europaweit durchgeführte „Meta-Analyse“, in der die Auswirkungen der Waldbewirtschaftung auf die Artenvielfalt näher untersucht wurden.

Ergebnis:
Der Artenreichtum ist in ungenutzten Wäldern durchweg wesentlich höher. Und: Solche Wälder werden immer artenreicher, je länger und ungestörter sie sich entwickeln können. 60 Prozent aller holzbewohnenden Käferarten stehen in Deutschland mittlerweile auf der „Roten Liste“ der bedrohten Tierarten. Die meisten „Rote-Liste“-Arten, die auf totes Holz angewiesen sind, können nur in nicht bewirtschafteten Wäldern langfristig überleben.

Unbewirtschaftete Wälder sind etwa doppelt bis viermal so dicht mit waldtypischen Brutvögeln besiedelt.

Behauptung 2:
„Wirtschaftlich genutzte Wälder sind vitaler und deutlich widerstandsfähiger gegen Schnee und Sturm“. Und: „Wird eine Waldfläche über längere Zeit nicht durchforstet oder verjüngt, verliert sie ihre Stabilität. Die Bäume stehen zu dicht, große Bäume nehmen den jungen das Licht, der Bestand überaltert. All das macht den Wald anfällig für Stürme, Insekten und sogar Brände.“ Wenn dem wirklich so wäre, fragt man sich, wie Wälder auf unserem Planeten über Jahrmillionen und Jahrtausende hinweg ohne Nutzung überleben konnten. Tatsache ist, dass ausschließlich Wirtschaftswälder in den letzten Jahrzehnten massiv durch Sturmkatastrophen dezimiert wurden. Betroffen waren hauptsächlich labile, nicht standortheimische Fichtenbestände. Sturmwürfe seit „Wiebke“ im Jahr 1990 haben in Deutschland einen volkwirtschaftlichen Schaden von über 10 Mrd. Euro angerichtet!

Behauptung 3:
„Die Forstwirtschaft hierzulande setzt immer mehr darauf, den Wald naturnah zu nutzen …heute werden überwiegend nur einzelne Bäume aus dem Wald entnommen.“ Und: „Bei der Durchforstung kommen immer häufiger Boden und Bestand schonende Harvester zum Einsatz“. Dass Wälder in Deutschland „naturnah“, d. h. immer mehr „einzelstammweise“ genutzt werden, ist eine glatte Lüge. In den meisten Forsten werden die Bäume im Schirmschlagverfahren abgeräumt. Der Bestand ist dann auf größerer Fläche extrem stark aufgelichtet. Durch den verstärkten Erntemaschinen-Einsatz ist das Netz der Rückegassen dichter geworden. Die „produktive“ Waldbestandsfläche hat dadurch um ca. 20 % abgenommen; der Boden wird durch die Maschinenlast (20 Tonnen und mehr!) massiv verdichtet und durch dicke Reisig-Auflagen (-die tiefe Fahrspuren vermeiden sollen) unnötig mit Nährstoffen angereichert. Die Vibration der Motoren zerstört das Porensystem im Boden und lässt darin lebende Organismen regelrecht ersticken.

Wie man sich den Zustand deutscher Wälder „schönrechnen“ kann, zeigt die offizielle Totholz-Statistik. Nach einer Inventurstudie aus dem Jahr 2008 sowie bei der Bundeswaldinventur (2014) ist der Totholz-Anteil im deutschen Wald in den letzten Jahren stark angewachsen. Verschwiegen wird dabei, dass die erhöhten Totholz-Mengen durch einen „Trick“ herbeigerechnet wurden. In der aktuellen Inventur wurde Totholz schon ab einem Durchmesser von 10 cm erfasst; bei der letzten Bundeswaldinventur (2002) bezog sich die Erhebung hingegen lediglich auf Durchmesser-Bereiche ab 20 cm. Nach der aktuelleren Erhebung besteht die erfasste Totholz-Menge hauptsächlich aus frisch abgestorbenem Schwachholz, das bei Erntearbeiten anfällt, sowie aus Sägestubbe. Die erhöhten Totholzwerte sind also größtenteils Ergebnis einer vermehrten Erntetätigkeit im Wald. Ebenso ist bisher nicht aufgearbeitetes Sturmholz als „Totholz“ erfasst worden. Aus den vorliegenden Erhebungsergebnissen auf einen ökologisch verbesserten Zustand unserer Wälder zu schließen, ist fachlich absurd.

Die Tricksereien und „Zahlenspiele“ der Forst- und Holzlobby sind letztlich nur ein Mittel, um vom wahren Zustand unserer Wälder in Deutschland abzulenken. Der deutsche Wald leidet nicht mehr ausschließlich unter dem „sauren Regen“ und der Trockenheit, sondern in erster Linie auch unter einer konventionellen Forstwirtschaft, die das Prinzip der Nachhaltigkeit längst aufgegeben hat, dies aber aus Gründen der Image-Wahrung nicht zugeben kann. Längst überfällig wäre die Durchführung einer mittlerweile auch von Naturwissenschaftlern geforderten, ehrlichen „ökologischen Waldinventur“ auf Bundesebene, die endlich den tatsächlichen, biologischen Zustand der deutschen Wälder anhand streng naturwissenschaftlich definierter Kriterien flächendeckend analysiert und dokumentiert und nicht mehr länger einseitig nur forstökonomisch relevante Parameter berücksichtigt. Deren Ergebnisse würden die ständigen Behauptungen der Forst-Industrie dann auch als das entlarven, was sie sind: nämlich Forst- und Holz-Märchen der einschlägigen Lobby.

Norbert Panek, geboren 1954 in Berlin, studierter Landschaftsplaner, heute in Korbach (Nordhessen) ansässig, gründete 1990 eine Nationalpark-Initiative im Kellerwald, befasst sich seit über 30 Jahren intensiv mit dem Thema Wald, insbesondere mit Buchenwäldern, schrieb dazu zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und Büchern und erstellte Gutachten (u.a. für Greenpeace).

Literatur:
Panek, N. (2013): Wilde Wälder braucht das Land, Ambaum Verlag, Vöhl-Basdorf.